Zusammen
Gepäckausgabe beim Kunsthaus Glarus
Artist Residency mit Bettina Mürner, 22.09.—20.10.2024
Ausstellung 05.—19.10.2024
«Nicht der Krieg, sondern das Fest, nicht die Waffe, sondern der Schmuck ist der Ursprung der Kultur.»
«Drinking and eating together refers to aspects of sharing that are part of human nature.»
Bettina Mürner und Amrei Wittwer unterziehen sich der Arbeit mit widerspenstigem Material: Keramik spricht mit eigener Stimme. Sie lässt sich nie vollkommen beherrschen, vorhersehen, sie sind unverfügbar. In Mürners und Wittwers Werk verschwimmt die Grenze zwischen Artefakt und Gebrauchsgegenstand, doch es stellt sich keine Routine ein. Was uns da als Produzenten oder Konsumenten von Kunst unerwartet anrufen kann, ist unscharf und mehrdeutig: Handelt vom In-der Welt Sein und von Bedingtheit. Von der abstrakten und konkreten Forderung nach einem guten Leben, aber auch nach verbindlichen Gesetzen, Gleichberechtigung, Natur und Artenschutz.
Für die Gepäckausgabe beim Kunsthaus Glarus erschaffen die beiden Künstlerinnen eine Installation aus funktionalen und nichtfunktionalen keramischen Objekten und Stoffen: Der rituell genutzte Tisch wird zum Altar. Die Objekte dienen dazu, ins Ungleichgewicht geratene Beziehungen mit der materiellen und immateriellen Welt zu kitten. Im Fokus der beiden Künstlerinnen liegt dabei die Transsubstantiation – im Sinne einer Transformation zwischen Brot, Leib und Geist. Ihre Ornamentik bezieht sich auf universelle und glarnerische Symbole der sozialen Gemeinschaft und des Überganges;
Die beiden Künstlerinnen arbeiten mit hölzernen Druckstöcken aus der lokalen Textilindustrie Glarus. Bettina Mürner verwendet die Muster und ritzt mittels einer von Amrei Wittwer erlernten Technik die Muster in Schalen aus Porzellan um sie zu entfremden und zu verwandeln. Die als Glarner Episode bezeichnete Serie bezieht sich einerseits auf die «glokale», universelle Ornamentsprache der traditionellen Glarner Drucktechnik, und andererseits auf die Farben des Glarner Wappens als Hommage an die Region und an das handwerkliche Wissen, das diese Region prägt. Amrei Wittwer transferiert die Muster der Druckstöcke wiederum auf Steinzeug und brennt Glasuren mit Edelmetall. Diese Glarner Platten sind gleichzeitig inverse Stempel und Serviertableau.
Mit den beiden auf eine regionale Tradition bezogenen Serien in Resonanz begibt sich ein weiterer Werkzyklus mit dem Titel Gefäße für Milch und Honig von Amrei Wittwer. Die großen, mit archaischen Symbolen und Figuren geschmückten Keramikgefäße appellieren an die Ursprünge der menschlichen Kultur, an die Wertschätzung des gesunden Körpers als Mittel zur mystischen Erfahrung und an Aspekte von alle und alles verbindenden Elementen, Ritualen und Formen.
Mit ihrer Kooperation wollen die beiden Künstlerinnen das «Zusammen», den sozialen Zusammenhalt, als wesentliche Bedingung der menschlichen Existenz anerkennen. Vor diesem Hintergrund handelt die Ausstellung vom Wesen des «In-der-Welt»-Seins, von der eigenen Bedingtheit und nicht zuletzt von der Forderung nach einem gemeinsamen, guten Leben, in dem «Milch und Honig fließen» können.
Vor 20 000 Jahren, noch vor der Sesshaftwerdung des Menschen brannten Jäger und Sammler in China keramische Gefässe mit Eindrückmuster aus Ton. Archäologen vermuten, dass die Urmenschen ihr Essen darin schmorten und Nahrungsmittel vor Ungeziefer schützten. Vor ca. 9 000 Jahren tauchten dann an vielen Orten der Welt Gefässe auf, die Töpferei wurde an mehreren Orten gleichzeitig erfunden. Die Dekoration der Keramik war den Steinzeitmenschen offenbar so wichtig, wie es die Trachten und ihre Stoffe in manchen Regionen heute noch sind.
Gefässe für Milch und HonigArtist Statement, Amrei Wittwer, 3. Oktober 2024
Margarete Zink über die Ausstellung, Oktober 2024
Seit Neuestem fordert Instagram auf, @Personen zur «Zusammenarbeit» einzuladen.
Zusammen gearbeitet — «in Echt» — haben die beiden Künstlerinnen, die in Zürich (hintereinander) denselben, prägenden Lehrer an der ZHdK @zhdkfinearts hatten, wie sie im Künstlerinnengespräch zur Eröffnung ihrer gemeinsamen Ausstellung in dem Gebäude zwischen Bahnhof, Gleisen und Kunsthaus in Glarus erzählen. Schönes Ambiente!
Das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit ist eine Fusion/Mischung (im Gefäß der Gepäckausgabe) aus verschiedenen Essenzen ihrer Biografien, ihrem Erbe (Druckstöcke von Bettina Mürner) und Inspirationen (Pharmazie, Schwarzkeramik, Urnen bei Amrei Wittwer). Das was vom Leben überbleibt, Spuren und Manifestationen als Ornamente und Objekte sind der gemeinsame Nenner der verschiedenartigen aber in ihrer Intention ähnlichen Werkserien (auch Episoden genannt) aus Keramik. Die Präsentation im Raum erlaubt es, jede Serie für sich zu betrachten, wie museal angeordnet und so den eigenen Kontext beanspruchend. Fast übersehen werden kann neben dieser «großen» Inszenierung das unscheinbare kleine Nebenprodukt, das im Wesentlichen die Zusammenführung von Druck/Ornament und Keramik/Kunstwerk bedeutet: flache Platten, in die das Muster eingedrückt wurde. Die Künstlerinnen feiern Zusammen das, was sie beide am meisten interessiert, so scheint es: Das Transformieren und dann Festhalten (Härten) von Motiven und Gedanken, Wünschen, die ein Leben begleiten und sie feiern somit das, was bleibt und gut ist, wie es ist!