Narbe und Nachtfalter
Kunstbox Feldkirch, 15.09.—21.12.2023
Kuratiert von Arno Egger
Fliesen dienen meist als Boden- oder Wandverkleidung. Sie beeinflussen die Wahrnehmung der Raumgröße, das Klima, die Temperatur und Feuchtigkeit. Als Artefakt ist eine Fliese mehr als ein Gebrauchsgegenstand: Ein Ding, das mit Bildern oder Symbolen ausgestattet Mehrdeutigkeit aufweist, Wirkung zeigt. Die Fliese erlaubt die gebetsmühlenartige Wiederholung eines Themas. Sie ist für das Auftauchen in Masse, für die Serialität geschaffen.
Im tibetischen Buddhismus werden Gebetsmühlen gedreht, mit dem Wunsch, dass das in der Walze befindliche Mantra zum Wohle der fühlenden Wesen wirkt, deren Leid beseitigt und ihnen Glück bringt. Mit jeder einzelnen Fliese, mit jedem Bild wird der Nachtfalter — als nichtmenschliche Person — angerufen, so lange bis verbindliche, fein regulierte Gesetze ihn und seine Nachkommen vom Aussterben schützen.
Der Falter ist — obwohl ihn als Schmetterling das griechische Wort Psyche bezeichnet — kein Herrschaftstier, sondern ein Mangelwesen. Er gilt als Symbol für inbrünstiges Sehnen.
Mit dem Insektensterben verringert sich der Bestand je nach europäischem Land um 60 bis 80% pro Jahrzehnt. Faktoren wie Klimaerwärmung, Pestizide, Biotopverlust, Dünger und Lichtverschmutzung tragen ihren Teil dazu bei. Wer trägt Verantwortung? Wer bewirkt Veränderung? Was können wir achtsam lernend und ausgeliefert bewirken?
Die großformatigen Malereien zeigen in Vorarlberg gefährdete Arten in Überlebensgröße. Falter, die uns nicht ansehnlich erscheinen, deren Verschwinden wir übersehen, bekommen in großem Format neue Bedeutung. In menschenähnlicher Größe erscheint das Recht auf Artenschutz, die Fähigkeit zum Leid, eine Unterstellung von Intelligenz nicht mehr so weit hergeholt; die Bestäubung der Pflanzen als echte Arbeit; das Mud Puddling — Trinken von Blut, Schweiß und Tränen — unheimlicher.