Amrei Wittwer
Fremd und Selbst 2013
1:1 Abdrücke meines Körpers aus Porzellan

Degree Show
Master of Arts in Fine Arts 2013
29.5. -15.6. 2013

https://www.zhdk.ch/en/event/18083

Mündliche Masterprüfung an der ZHDK Zürich
Einführung von Amrei Wittwer zum praktischen Teil ihrer Masterarbeit mit dem Titel "Fremd und Selbst 2013"
Prüfer: Ulrich Görlich und Jörg Huber


Die Arbeit Fremd und Selbst zeigt eine gezielte Auswahl von präzisen naturalistischen Abdrücken meines eigenen Körpers in vier Vitrinen. Mein Körper, der nur einmal existiert, wird durch die Objekte vervielfältigt: Gehirne, Brüste, Hände und Gesäße liegen vor.

Der Kontext der Arbeit ist für mich geprägt vom Thema Sex and Brains: „Brain“, repräsentiert durch Gehirn und Hand – und Sex, vertreten durch Gesäß und Brust.

Die Objekte sind dreidimensional, die kleinsten Falten meiner Haut sind sichtbar. Allerdings liegt die Ähnlichkeit nur in der Oberfläche. Die Objekte sind weiss, hart, kalt, und Fragmente; sie bestehen aus Porzellan und Giesskeramik; ich habe sie mit einem Gussverfahren hergestellt; die Objekte habe Nähte; Porzellan ist ein Endprodukt; Es überdauert die Lebenszeit eines Menschen, ist 4000 Jahre praktisch inert.

Die Objekte bauen ein Spannungsfeld auf, Sie liegen nach Körperteil geordnet und nach vorne ausgerichtet in jeweils einer Vitrine. Die Objekte sollen den Betrachter ansehen und ansprechen. Das Gehirn blickt an, die Hände greifen, die Busen und Hintern blitzen. Die Vitrinen bestehen aus braunem MDF, ich habe sie mit innen-Dispersionsfarbe gestrichen und mit einer Glasplatte verschlossen.

Wie ich die Arbeit betrachte, stellt sie weibliche gesellschaftliche Stereotypen in Frage.

  1. Ich lehne die gesellschaftliche Kommerzialisierung, die Gleichmachung des weiblichen Körpers und Verstandes ab.

  2. Ich lehne aber auch das andere Extrem, die Verhüllung und Tabuisierung der weiblichen Sexualität ab.

Das Ziel sei eine neue “Annäherung an das Reale”: Der weibliche Körper ist nicht zu verhüllen und nicht zu "avatarisieren".

Das weibliche Objekt mit individueller Serialität

Die Vervielfältigung ist eine Methode, den Körper zu einem Objekt zu machen. Die Vervielfältigung eines individuellen Körpers ist unüblich. Ich empfinde die Objekte als naturalistisch, entsexualisiert, authentisch und unperfekt.

Ich verwende die gleiche Methode aber ein anderes Ziel als die kommerzielle Vervielfältigung: Natürlichkeit wird propagiert und verstärkt anstelle eines Schönheitsideales. Es handlet sich also um eine „Annäherung an das Reale“.

Von der Serialität fühle ich mich provoziert. Die Objekte haben eine Gussnaht (vgl. Barbiepuppe). Die grosse Menge individueller und dennoch scheinbar unendlich reproduzierbarer Objekte stellt meine Singularität in Frage.

Die Serialität, die einfache Repetition verändert das Erscheinungsbild und die Bedeutung bekannter Objekte. Ausserdem macht die Anhäufung  von Objekten mit gleicher Funktion individuelle Eigenschaften sichtbarer die Repetition des Objektes führt zur Abstraktion: so wie ein Wort, das man mehrfach wiederholt, seinen Sinn verliert. (Armand)

Die Anzahl der Körperteile ist Viele; die menschliche Wahrnehmung erlaubt uns, nur bis zu 3 Objekten unterscheiden, mehr müssen abgezählt werden um die genaue Anzahl festzustellen.

Die Entfremdung

Das gesellschaftliche Bild der Frau ist entfremdet. Ich erreiche eine Entfremdung durch:

  1. Materialität,

  2. Fragementierung: Sie führen zu einer anderen Reaktion im Betrachter als der Körper an sich.

  3. Anordnung (Entmenschlichung, das Gegenteil von Körperwelten dort werden echte Tote „belebt“)

  4. Vitrinen: Schutz; sie betonen die Zerbrechlichkeit und Wertigkeit.

Die Objekte sind anatomisch korrekt, jeder Mensch sieht sofort, dass die Hand echt ist und nicht künstlich erzeugt. Dennoch ist die Hand tot, wie ein abgestoßenes Körperteil. Dieser Widerspruch dass etwas gleichzeitig zu einem Menschen gehört aber dennoch nicht der Mensch selbst ist übt auf mich eine Faszination und Irritation aus. Ich betrete das "Uncanny Valley".

Objekte, die sowohl fremd sind, als auch zum Selbst gehören, werden vom Psychoanalythiker Donald Winnicott Übergansobjekte genannt. Sie sind emotional stark aufgeladen.

Die Polarisierung

Ich empfinde bei der gesellschaftlichen Darstellung von Weiblichkeit eine dramatische Polarisierung. Einerseits die Vermarktung/Industrialisierung des weiblichen Körpers und Andererseits seiner Tabuisierung und Verhüllung.

1) Laury Penny schreibt in Fleischmarkt, “Unsere Kultur ist besessen von der Kontrolle über den weiblichen Körper, sie quillt über von Darstellungen unwirklicher weiblicher Schönheit.[1]  
Schauspielerinnen und Modells werden zu Avataren designt und formatiert[2]. Diese Avatare sind unerreichbare Ideale, bestimmen aber trotzdem die Alltagskultur. Die Unerreichbarkeit dieser allgegenwärtigen Idole von Weiblichkeit verletzen unser Selbstwertgefühl. Das der Männer, die diese Art Frau als Partnerin nie finden werden, das der Frauen, die sich durch Hunger, Operationen, Konsum und Training der Illusion annähern wollen.

2) Der zweite, polare Exzess wird am stärksten durch das Verhüllungsgebot illustriert. Das verletzt m.E. die weibliche Würde in noch krasserer Weise, weil die Frauen keine Möglichkeit haben, sich dieser Diskriminierung zu entziehen.


[1] Fleischmarkt versucht, einige der Strategien aufzuzeigen, mit denen Frauenkörper entmachtet und kontrolliert warden: Sexualität, Prostitution, Essstörungen, Konsum und Hausarbeit etwa werden Faktoren dargestellt, die für den Handel mit dem weiblichen Fleisch als sexuelles und soziales Kapital von Bedeutung sind.

[2] Nachdem die Girls von Deutschlands Top Model einen Parcours aus Diäten, Schamhaarentfernungen und Hormonbehandlungen absolviert haben, ähneln sie auffällig den Mädchen ganz alter Ordnungen.

Künstlerischer Beitrag MFA Katalog 2013, S. 33

Mein Gehirn 2012

basierend auf MRI Scans